„Die schöne Müllerin“ | Franui | Florian Boesch | Nikolaus Habjan

„Das Lied soll uns gern haben!“
 
Ein Gespräch mit Andreas Schett  zur Neudeutung von Franz Schuberts Liederzyklus „Die Schönen Müllerin“

Ein Sänger und Klavierbegleitung, so kennt jeder von uns zumindest Teile von Schuberts Die schöne Müllerin. War dieses gewohnte Bild mehr Bürde oder war es erst recht Ansporn, das klassische Setting zu durchbrechen?

 

Wir spielen jetzt genau 30 Jahre zusammen - in unveränderter Besetzung - und mindestens die Hälfte der Zeit haben wir damit verbracht, das sogenannte romantische Lied weiterzuschreiben, also das herkömmliche Setting zu vergessen und mit unserem merkwürdigen Instrumentarium diese Musik neu zu erfinden. An manchen Stellen zelebrieren wir das vorliegende Material oder reduzieren es, an manchen Stellen reichern wir es an, kehren das Unterste zuoberst und ungekehrt. Wir machen das, weil wir diese Musik gern haben - im doppelten Wortsinn: Wir lieben das Schubertlied, von dem wir ausgehen, aber wir trauen uns auch, ab einem bestimmten Punkt zu sagen: Dieses Lied - oder der ganze Schubert - soll uns gern haben! In dieser Herangehensweise, im Schaffen dieser musikalischen Freiräume wurden wir mit der Zeit immer gewandter - und darum haben wir uns jetzt erstmals an einen ganzen Zyklus herangewagt.

 

Es ist eine bereits ansehnlich lange Liste der Zusammenarbeit mit Florian Boesch und Nikolaus Habjan. Wir nehmen an, ihr versteht euch blind, doch wie geht ihr konkret an eine solche Umsetzung heran und wer hatte eigentlich die Idee mit der Schönen Müllerin?

 

Wir haben sowohl mit Nikolaus als auch mit Florian schon mehrere Projekte verwirklicht. Bei der Müllerin haben wir die beiden nun erstmals zusammengebracht. Florian hat eine ganz singuläre Sicht auf diese Geschichte vom Müllersburschen entwickelt, über die wir öfter geredet haben. Mit Nikolaus haben wir bei Proben schon vor vielen Jahren in Zürich den Entschluss gefasst: Irgendwann machen wir zusammen Die schöne Müllerin! Als Matthias Schulz, der Intendant der Staatsoper Unter den Linden in Berlin uns einlud, etwas Neues zu machen, war es daher naheliegend, dieses Projekt vorzuschlagen. Dass Nikolaus und Florian sich so gut verstehen, war nicht vorherzusehen, hat das Ganze aber zu einem sehr beglückenden Unterfangen werden lassen.

 

Der Liederzyklus gilt als geradezu archetypischer Vertreter der Romantik. Bleibt es bei dieser lyrischen Verklärung  oder streicht die Musicbanda Franui mehr das Dramatische der Geschichte, die Verzweiflung des unglücklich verliebten Müllersburschen hervor? Eure Instrumente lassen eher auf Zweiteres schließen. Oder täuschen wir uns?

 

Die oben angesprochene Neudeutung von Florian lautet: Der Müllersbursche geht nicht ins Wasser, er bringt sich nicht um. In einer ungeheuerlichen Liebespsychose erlebt er einen  Schub nach dem anderen. Da hat Wilhelm Müller mitunter die Beschreibungen Sigmund Freuds um Jahrzehnte vorweggenommen. Am Ende geht der Müllersbursche geläutert aus seinem Leiden hervor. Tatsächlich kann man den ganzen Zyklus auch mit dieser Grundausrichtung schlüssig lesen. Der entscheidende Satz fällt in Lied Nr. 18, „Der Müller und der Bach“, es ist das einzige Mal im ganzen Zyklus, dass der Bach tatsächlich mit dem Müllersburschen spricht. Was sagt er? Er sagt: „Und wenn sich die Liebe / Dem Schmerz entringt, / ein Sternlein, ein neues / Am Himmel erblinkt.“ Ein paar Zeilen weiter heißt es: „Und die Engelein schneiden / Die Flügel sich ab / Und gehn alle Morgen / zur Erde herab.“ Mit anderen Worten heißt das: Stell Dich nicht so an, das Leben geht weiter! Die Schlussworte  im letzten Lied lauten bekanntlich: „Und der Himmel da droben / wie ist er so weit.“ Man kann darunter auch verstehen, dass alles offen ist. Diese gedankliche Vorlage hat enorm viele musikalische Implikationen. Da können wir mit Holz- und Blechbläsern, Volksmusik-Saiteninstrumenten, Akkordeon und Streichern den Schubert weit in unsere Gegenwart holen. Manchmal klingt es mehr nach Popsong, Volksweise, Wozzeck oder Dreigroschenoper als nach Liederabend. Oder eben nach Franui. Bei den bisherigen Aufführungen - die Uraufführung war an der Staatsoper Unter den Linden Berlin, danach waren wir beim Internationalen Musikfest Hamburg in der Elbphilharmonie und an der Oper Graz - hat der Abend enthusiastische Reaktionen ausgelöst.

 

Fotographie: Bernd Uhlig

 

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